Kliniken verwehren Begleitpersonen uneingeschränkten Zutritt zum Kreißsaal. Schwangere sind während der Geburt auf sich allein gestellt. Jetzt in der entspannten Pandemie-Situation sollten Kliniken familienzentrierte Hygienekonzepte erarbeiten.
Bonn, 10. Mai 2022. Trotz flächendeckender Test- und Impfmöglichkeiten von Begleitpersonen sowie sinkender Corona-Fallzahlen müssen Schwangere nach wie vor mit teils massiven Einschränkungen bei und nach der Geburt ihres Kindes rechnen. Das ergab eine Auswertung des Elternvereins Mother Hood von mehr als 60 Geburtskliniken und Nachrichten von rund 90 Eltern der vergangenen sechs Monate. “Die Lage in den Kreißsälen ist nach wie vor extrem unübersichtlich und für Familien unzumutbar”, sagt Katharina Desery von Mother Hood. “Mit Blick auf weitere mögliche Pandemie-Wellen lässt das für Familien nichts Gutes hoffen.”
Manche Kliniken lassen keine ungeimpften Väter, Partner:innen und andere Vertrauenspersonen der Schwangeren in den Kreißsaal. Selbst Getestete und Geimpfte erhalten nur für kurze Zeit Zutritt. Väter werden von der Geburt ihres Kindes komplett ausgeschlossen oder zu spät in den Kreißsaal gerufen und verpassen die Geburt.
Die Maßnahmen zum Schutz vor Ansteckung mit Corona unterscheiden sich nach wie vor in jeder der rund 630 Geburtsstationen. Sie werden selbst innerhalb der geburtshilflichen Teams einer Klinik unterschiedlich gehandhabt, wie Berichte von Müttern an Mother Hood zeigen.
Werdende Eltern können sich nicht darauf verlassen, welche Situation sie bei der Geburt vorfinden werden. Die Webseiten und Informationen, welche bei Informationsabenden gegeben werden, sind nicht zuverlässig.
“Insgesamt offenbart die Lage, dass in vielen Kliniken den Bedürfnissen von Familien keine große Bedeutung beigemessen wird. Eine Geburt wird wie eine planbare Knie-Operation behandelt und nicht wie eine das Leben der Familie beeinflussende Erfahrung”, fasst Katharina Desery von Mother Hood zusammen.
Gesundheitliche Folgen
Die Maßnahmen treffen Familien in einer besonders sensiblen Lebensphase, in der es eigentlich um Zuverlässigkeit und Vertrauen geht. Schwangere müssen damit rechnen, allein ohne eine vertraute Person zu gebären. Sie können nicht sicher sein, dass ihnen während des Geburtsverlaufs eine Hebamme zur Seite steht. Die medizinische Sicherheit bietende Eins-zu-Eins-Geburtsbetreuung können Kliniken aufgrund des weit verbreiteten Hebammenmangels häufig nicht gewährleisten.
Die Folgen für Familien sind besorgniserregend. Die Verunsicherung bereits in der Schwangerschaft ist groß. Der damit verbundene unnötige Stress und die Angst kann sich negativ auf die körperliche und psychische Gesundheit von Schwangeren auswirken. Das Risiko für Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angststörungen nach der Geburt steigt, wie eine Studie zu den Geburtserfahrungen während der Corona-Pandemie festgestellt hat.
“Insgesamt offenbart die Lage, dass in vielen Kliniken der familienzentrierten Geburtsbegleitung keine große Bedeutung beigemessen wird. Eine Geburt wird wie eine planbare Knie-Operation behandelt und nicht wie eine das Leben der Familie beeinflussende Erfahrung”, fasst Katharina Desery von Mother Hood zusammen.
Entspannte Pandemie-Situation nutzen
Von den Gesundheitsministerien der Bundesländer fordert Mother Hood, die uneingeschränkte Geburtsbegleitung fest in den Länderverordnungen zu den Corona-Schutzmaßnahmen zu verankern.
Mother Hood erwartet von den Kliniken, die aktuell entspannte Pandemie-Situation zu nutzen und ihre Schutzkonzepte für die Geburtshilfe zu überarbeiten. Familien brauchen verlässliche und einheitliche Informationen sowie Regelungen, die eine sichere und vertrauensvolle Geburtsumgebung schaffen. Dazu zählt ein uneingeschränkter Zugang von geimpften, genesenen und getesteten Begleitpersonen sowie eine Geburtsbegleitung während der gesamten Geburt durch Hebammen.
“Zum Glück gibt es auch gute Beispiele aus Kliniken”, weiß Katharina Desery. “Die Beispiele zeigen, mit gutem Willen und Blick auf die Bedürfnisse der Gebärenden kann auch in einer Pandemie eine familienzentrierte Geburtshilfe möglich sein.”
Hintergrundinformationen und Quellen
Seit Beginn der Corona Pandemie im März 2020 wenden sich betroffene Eltern an Mother Hood, um über ihre Erfahrungen mit der Geburtsklinik ihrer Wahl zu berichten. Über 1100 Anfragen erreichten den Verein bisher. Nach besorgniserregenden Berichten betroffener Familien fragte der Verein in den vergangenen sechs Monaten über 60 Geburtskliniken, rund zehn 10 Prozent der Geburtskliniken, nach ihren aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen. Unter den 30 Antworten fanden sich Kritik, Unverständnis, aber auch Versprechen, die aktuellen Einschränkungen prüfen zu wollen. Einzelne Kliniken und Eltern berichteten im Nachgang von einer Neuausrichtung der Hygienmaßnahmen zum Wohle der Familien.
Empfehlungen der Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) zu SARS-CoV-2/COVID-19 in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Dr. C. Hagenbeck et.al: Empfehlungen zu SARS-COV-2/COVID-19 in Schwangerschaft,Geburt und Wochenbett, November 2021: https://www.dggg.de/fileadmin/data/Stellungnahmen/DGGG/2021/PM_Update_November_2021_finalV2.pdf
Studie zu Geburtserfahrungen während der COVID-19-Pandemie und den Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Müttern.
C.H.Liu et.al: Unexpected change in birth experiences during the COVID-19 pandemic, November 2021: https://link.springer.com/article/10.1007/s00404-021-06310-5
Bonn, 10. Mai 2022
Ansprechpartnerin
Katharina Desery
Vorstand und Pressesprecherin
Tel.: 0163/ 7274735
E-Mail: presse(at)mother-hood.de