Wetten auf die Geburtsstation, die als nächstes schließen wird? Was als Aprilscherz 2021 daherkam, hat einen sehr ernsten Hintergrund: Jährlich verschwinden Geburtsstationen von der Landkarte der geburtshilflichen Versorgung.
Seit 2018 waren es fast 10 Prozent (682 zu 621 Ende 2022, Quelle).
2023 | 17 |
2022 | 11 |
2021 | 12 |
2020 | 7 |
2019 | 19 |
2018 | 13 |
2017 | 19 |
2016 | 15 |
Wir haben die Geburtsstationen in einer Karte abgebildet und – soweit bekannt – auch die geschlossene Kreißsäle (schwarz) mit Schließungsjahr aufgeführt. Die Geburtsstationen lassen sich je nach Anzahl der Geburten/ Jahr herausfiltern. (Alle Angaben ohne Gewähr.)
Die Karte kann alternativ über diesen Link aufgerufen werden.
Verwendung nur mit Hinweis auf Mother Hood e. V./ Googlemaps. Datenquelle: Die Angaben stammen aus den sog. Milupa Listen und eigenen Recherchen.
Im Folgenden geben wir Hintergrundinformationen rund um das Thema Schließung von Geburtsstationen und was unserer Meinung nach getan werden muss, um eine gute Versorgung von Schwangeren zu gewährleisten.
- Ursache für Schließungen
- Von wegen „kein Problem“
- Folgen von Kreißsaalschließungen
- Krankenhausplanung: strukturierter Übergang nötig
Ursachen für Schließungen
Als häufigste Gründe für die Schließung eines Kreißsaales geben Kliniken Personalmangel und wirtschaftliche Gründe an. Personalmangel, weil immer mehr Hebammen ihren Job wegen der schlechten Arbeitsbedingungen aufgeben oder in Teilzeit gehen. Und auch bei Gynäkologinnen und Gynäkologen ist das Arbeiten im Kreißsaal nicht sehr beliebt. Stellen können nicht nachbesetzt werden.
Geburtsstationen schließen aus wirtschaftlichen Gründen, weil Geburten sich für Kliniken nicht lohnen. Die Fallpauschalen der Krankenkassen sind gerade für Kliniken mit niedrigen bis mittleren Geburtenzahlen (weniger als 500 und nicht mehr als 1000 Geburten/ Jahr) nicht hoch genug. Zweidrittel der Kliniken gaben für den „Klinikbarometer 2020“ an, die Erlöse in der Geburtshilfe wären im Jahr 2020 niedriger als die Kosten gewesen.
Von wegen „kein Problem“
Von der Politik wird eine Kreißsaalschließung sehr gerne als „kein Problem“ dargestellt. Man verweist auf die Vorgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses, G-BA, nach der 40 Minuten bis zum nächsten Kreißsaal akzeptabel wären. Doch diese Minutenangabe ist willkürlich und entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.
Auch die verbleibenden Kliniken vermelden, dass eine Schließung in der Umgebung keine Versorgungsprobleme mit sich bringen würde. Von dort arbeitenden Hebammen wissen wir aber, dass jede fehlende Geburtsstation zu einem höheren Aufkommen und räumlichen sowie personellen Engpässen führt. Öffentlich sagt das kaum jemand.
„Die Nöte werdender Eltern bleiben ungehört.“
Katharina Desery, Vorstand Mother Hood e. V.
Welche Auswirkungen die Schließung eines Kreißsaales für eine Region und insbesondere auf die Familien selbst haben, wird in der Krankenhausplanung der Bundesländer nicht berücksichtigt. Wird eine Kreißsaalschließung angekündigt und es kommt zu Protesten etwa von betroffenen Eltern, verweist das Land gerne an die fehlende Möglichkeit, auf Kliniken einzuwirken. Die Kliniken wiederum sehen die Politik in der Pflicht.
„Familien geraten zwischen die Fronten der Bundes- und Landespolitik sowie der Kliniken. Ihre Bedarfe und Bedürfnisse werden nicht berücksichtigt.“
Dr. Gerit Sonntag, Mother Hood Regionlgruppe Bonn, zur Schließung der Geburtshilfe in Bad Honnef
Dabei sind die Folgen von Kreißsaalschließungen für Familien enorm. Sie werden weder innerhalb der Krankenhausplanung der Bundesländer, noch auf kommunaler Ebene rechtzeitig berücksichtigt und in die proaktiven Gestaltung einer sicheren Versorgung mit einbezogen. Im Gegenteil: Die Verantwortlichen argumentieren sehr gerne mit vermeintlichen Vorteilen von großen Geburtsstationen. Demnach würden kleinere Stationen ein Sicherheitsrisiko darstellen. Für diese weit verbreitete Annahme fehlen jedoch aktuelle Forschungsergebnisse. Die psychische und physische Gesundheit von Mutter und Kind bleibt außen vor.
Folgen von Kreißsaalschließungen
Macht ein Kreißsaal in einer Region dicht, hat das besonders zwei schwerwiegende Konsequenzen, die mit gesundheitlichen Risiken einhergehen: fehlende wohnortnahe Versorgung sowie überfüllte verbleibende Kreißsäle.
Wohnortnahe Versorgung gefährdet
Eine längere Fahrzeit zum Geburtsort erhöht das Risiko von Komplikationen und ist mit einem schlechteren Geburtsverlauf bei den Frauen und negativen Geburtserfahrungen verbunden.
Überfüllte verbleibende Kreißsäle
Schließt eine Geburtsstation, bedeutet das mehr Geburten für die verbleibenden Kreißsäle. Was zunächst positiv für diese Kliniken erscheint (und auch so kommuniziert wird), entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als weiteres Sicherheitsrisiko: Seit Jahren schon können viele Kliniken keine Eins-zu-Eins-Betreuung der Gebärenden gewählleisten. Dabei bietet dieses Betreuungsmodell die größtmögliche Sicherheit für Mutter und Kind und wird auch von den Frauen selbst bevorzugt.
Krankenhausplanung: strukturierter Übergang nötig
Über Schließungen werden Betroffene vor Ort, sogar das Personal selbst und nicht selten laut eigenen Angaben auch die Landespolitik kurzfristig, d. h. ohne (lange) Vorlaufzeit, informiert.
Dieses Vorgehen wiederholt sich Monat für Monat deutschlandweit. Es kann nicht sein, dass Schließungen ohne flankierende Konzepte für die Versorgung der Familien vonstatten gehen können und gesundheitliche Risiken als Kollateralschäden hingenommen werden. So kann es nicht weitergehen!
Wir fordern daher von den für Gesundheit verantwortlichen Ministerien der Bundesländer die Einsetzung eines strukturierten begleitenden Übergangs. Das bedeutet, rechtzeitig insbesondere mit kleineren Geburtsstationen in einen Dialog zu treten, die Bedarfe von Familien in einer Region zu erfassen und – wenn eine Schließung unumgänglich und ggf. sogar sinnvoll ist – mögliche Defizite in der Versorgung aufzufangen. Dazu zählt z. B. den verbleibenden Kliniken genug Zeit für räumliche und personelle Veränderungen zu geben, mit denen eine sichere Geburtshilfe gewährleistet werden kann.
Geburtshilfliche Einrichtungen müssen innerhalb von max. 30 Minuten erreichbar sein. In strukturschwachen Regionen sind Lokale Versorgungszentren (LVZ) denkbar, wie sie bereits in einigen Bundesländern existieren. Geburtshilfliche Angebote müssen dazu gehören. Hebammen und Gynäkolog:innen erhalten finanzielle Anreize zur Niederlassung und strukturschwachen Regionen.
Die Geburtshilfe muss zudem als Akutversorgung zur Notfall- und Grundversorgung mit in die Krankenhausplanung der Bundesländer aufgenommen werden.