Presse Stellungnahmen

Zur aktuellen Diskussion um Geburtseinleitungen mit Misoprostol

Wir möchten mit dieser Stellungnahme die aus Elternsicht wichtigsten Aspekte für die geburtshilfliche Versorgung hervorheben. Zwei Fragen stehen dabei im Mittelpunkt.

Bonn, 05. Juni 2025. Der Wirkstoff Misoprostol wird in vielen Ländern zur Geburtseinleitung eingesetzt. Seit 2021 ist in Deutschland mit Angusta erstmals ein entsprechendes Medikament zugelassen. Die Tabletten enthalten jeweils 25 Mikrogramm und werden oral verabreicht.

In den vergangenen Tagen wurde in verschiedenen Medien sowie auf Social Media Kritik an der Anwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung laut. Hintergrund sind Erfahrungen von Frauen und Familien, die von teils schweren Nebenwirkungen berichten, darunter auch der Tod eines Kindes und einer Mutter.

Zentrale Streitpunkte sind die uneinheitliche Dosierungspraxis in den Kliniken sowie das Fehlen eindeutiger Vorgaben zur Überwachung von Schwangeren, bei denen eine Einleitung mit Misoprostol erfolgt.

Die aktuelle Diskussion wirft Fragen zur Sicherheit, Transparenz und Qualität der geburtshilflichen Versorgung auf. Die Elternorganisation Mother Hood e. V. begrüßt daher die Aufmerksamkeit für das Thema Geburtseinleitung. Mother Hood setzt sich für eine bessere geburtshilfliche Versorgung ein. 

Wir möchten mit dieser Stellungnahme die aus Elternsicht wichtigsten Aspekte für die geburtshilfliche Versorgung hervorheben. Zwei Fragen stehen dabei im Mittelpunkt:

1. Warum wird bei Geburtseinleitungen nicht standardmäßig mit der niedrigstmöglichen Dosis Misoprostol (25 Mikrogramm) begonnen?

Misoprostol ist ein hochwirksamer Wirkstoff, dessen Anwendung zur Geburtseinleitung mit Risiken verbunden sein kann, insbesondere bei zu hoher Anfangsdosis oder zu kurzen Abständen zwischen den Tabletteneinnahmen.

Aus unserer Sicht ist es unverständlich, warum nicht grundsätzlich mit der kleinstmöglichen Dosis von 25 Mikrogramm begonnen und das weitere Vorgehen individuell angepasst wird. 

Zwar enthält die noch bis Ende dieses Jahres gültige Leitlinie zur Geburtseinleitung Empfehlungen zur Dosierung von Misoprostol. Doch diese bleiben in wichtigen Punkten vage. So können nach Leitlinie einer Schwangeren durchaus 100 Mikrogramm als Einzeldosis gegeben werden. Die Einleitung mit 25 Mikrogramm zu beginnen, wird nicht explizit empfohlen.

Empfehlungen wie die des renommierten National Institute for Health and Care Excellence (NICE) aus Großbritannien oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sehen hingegen eine Erstgabe von 25 Mikrogramm Misoprostol zur Geburtseinleitung vor, verabreicht in mindestens zweistündigen Abständen und ausdrücklich nur unter

sorgfältiger medizinischer Überwachung. Diese Empfehlung unterstreicht die Notwendigkeit eines vorsichtigen Vorgehens. Umso dringlicher ist eine deutliche Verankerung dieser Vorsicht auch in deutschen Leitlinien und der klinischen Praxis.

2. Wie stellen Kliniken sicher, dass Frauen unter Misoprostol-Einleitung engmaschig betreut werden?

Die Leitlinie enthält außerdem keine klaren Empfehlungen zur Überwachung der Gebärenden während einer Geburtseinleitung, etwa zu den räumlichen und personellen Anforderungen, obwohl dies in anderen Leitlinien üblich ist.

Eine sichere Geburtseinleitung mit Misoprostol erfordert eine kontinuierliche Überwachung der Wehentätigkeit, der kindlichen Herzfrequenz sowie des allgemeinen Befindens der Gebärenden. Wenn Kliniken Geburtseinleitungen anbieten, muss geklärt werden, wie genau sie diese Überwachung organisieren und gewährleisten können.

Forderungen

Daten des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) zeigen, dass etwa bei jeder fünften Schwangeren die Geburt eingeleitet wird. Unklar ist, wie häufig dabei Misoprostol-Tabletten zum Einsatz kommen, da diese Daten nicht systematisch erfasst werden.

Grundsätzlich dürfen aus unserer Sicht Geburtseinleitungen mit Misoprostol kein Routineeingriff unter Zeit- und Personaldruck sein.

Mother Hood fordert:

  • Leitlinie: Die Leitlinie zur Geburtseinleitung muss mit dem Ziel überarbeitet werden, evidenzbasierte Empfehlungen zu formulieren, die sich an internationalen Standards orientieren und eine sichere, einheitliche Anwendung von Misoprostol gewährleisten. Konkret geht es um die Dosierung, das Einnahmeintervall und die Überwachung der eingeleiteten Gebärenden.
  • Patientenrechte: Des Weiteren ist die Wahrung der Patientenrechte nach § 630e BGB unerlässlich. Dazu gehören eine umfassende Aufklärung der Schwangeren sowie ihre dokumentierte Einwilligung in die Geburtseinleitung.
  • Forschung: Mehr Forschung zur Geburtseinleitung ist ebenfalls zwingend erforderlich, insbesondere zu den Fragen, wie Gebärende die Einleitung erleben, welche alternativen Maßnahmen zur Geburtseinleitung in Frage kommen sowie zum Wirkungseintritt von Misoprostol.

Schwangeren empfehlen wir, bei einer empfohlenen Einleitung mit Misoprostol eine Erstgabe von 25 Mikrogramm zu vereinbaren.

Anonymisiertes Geburtenregister notwendig

Die Kritik am Umgang mit Misoprostol zur Geburtseinleitung sowie auch die Diskussion um die mangelhafte Erfassung der Müttersterblichkeit vor ein paar Monaten sind nur zwei Beispiele für die dringend notwendige vollständige Datenerhebung für die Geburtsbetreuung. Hierfür kommt ein Geburtenregister infrage, welches bereits von Expertinnen und Experten der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen sowie von Eltern gefordert wird.

Mit der Erfassung und Zusammenführung von Daten rund um die Geburt in einem anonymisierten Geburtenregister wäre es möglich, im Rahmen von Studien Erkenntnisse zum mütterlichen und kindlichen Outcome von medizinischen Eingriffen zu gewinnen. Dies würde eine effiziente Verbesserung der geburtshilflichen Gesundheitsversorgung erreichen.

Aktuell ist in Deutschland die Datenlage rund um die Geburt unvollständig und fragmentiert. Das liegt unter anderem an den Regelungen zur Datennutzung im Rahmen der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen, die eine umfassende Qualitätsbewertung erschweren.

Daher ist es an der Zeit, die Datenerfassung und ihre Auswertung im Rahmen der Qualitätssicherung endlich zu überarbeiten, um auch medizinische Eingriffe wie Geburtseinleitungen besser bewerten zu können.

Quellen:

IQTIG – Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen. Geburtshilfe – Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2024 nach DeQS-Richtlinie, Berlin 2024, abgerufen am 3.6.2025.

Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Maternale Mortalität: Bundesweites Register zur Dokumentation der Fälle dringend notwendig, April 2025, abgerufen am 3.6.2025.

gesundheitsziele.de/Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG e. V.), Einladung zum Fachgespräch „Warum Deutschland ein Geburtenregister braucht?!“, Mai 2025, abgerufen am 3.6.2025.

ZDF Doku “Die Spur – Tod im Kreißsaal”, Erstausstrahlung 28.05.2025, abgerufen am 4.6.2025.