Stellungnahme

Einführung des nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) als Kassenleistung

Soll der Bluttest auf Trisomien (NIPT) bei Risikoschwangerschaften eine Kassenleistung werden? Wir haben uns des schwierigen Themas angenommen und richten den Fokus auf die Selbstbestimmung.

Vorbemerkung

Der G-BA hat im März ein Stellungnahmeverfahren zur möglichen Einführung sog. nichtinvasiver Pränataltests (NIPT) als Kassenleistung eröffnet. Zur Diskussion steht, ob die Kosten von NIPT bei Risikoschwangerschaften von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen.

Mit NIPT wird mittels einer Untersuchung des Blutes der Mutter bestimmt, wie hoch beim ungeborenen Kind das Risiko auf Trisomie 21 (Down-Syndrom), 18 (Edwards Syndrom) und 13 (Pätau Syndrom) ist.

Der Test ist bereits seit 2012 für selbst zahlende Schwangere ab der 10. Schwangerschaftswoche verfügbar. Er kostet aktuell zwischen 129 Euro und 299 Euro.

Der G-BA hat Fachgesellschaften und Organisationen aufgefordert, zur Einführung des NIPT als Kassenleistung Stellung zu beziehen. Der Bundestag hielt im April eine Orientierungsdebatte zum Thema ab. Viele Medien berichteten darüber.

Mother Hood e. V. hat ebenfalls eine Stellungnahme verfasst, die dem G-BA vorliegt. Wir haben uns darin bewusst nicht im Detail mit den medizinischen, ethischen und rechtlichen Fragen auseinandergesetzt. Dies haben an anderer Stelle bereits einige Organisationen umgesetzt und auch veröffentlicht.

Wir verweisen sehr gerne auf folgende Stellungnahmen: Arbeitskreis Frauengesundheit e. V., pro familia NRW, BioSkop e.V..

Wer sich darüber hinaus umfassender mit allen Aspekten des NIPT beschäftigen möchte, dem empfehlen wir den Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) „Aktueller Stand und Entwicklungen der Pränataldiagnostik“ von April 2019.

Schwerpunkt: Kritik an Schwangerenbetreuung

In unserer Stellungnahme geht es uns insbesondere darum, einen neuen Aspekt in die Diskussion einzubringen. Aufgrund unserer Erfahrungen als Elternverein, der sich für eine bessere geburtshilfliche Versorgung einsetzt, wissen wir um die großen Defizite in der derzeitigen Schwangerenbetreuung (s. u.). Wir haben nun diese Defizite mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von Menschen mit Behinderung in Verbindung gebracht.

Unsere Überlegungen bewegten sich dabei in einem scheinbar unüberwindbaren Dilemma: Auf der einen Seite sehen wir durch NIPT die Gefahr, dass das ungeborene Kind mit Trisomie durch eine Beendigung der Schwangerschaft aussortiert wird, obwohl es insbesondere mit Trisomie 21 lebensfähig wäre. Manche Kritiker des Testes sprechen daher auch von Selektion.

Auf der anderen Seite bewerten wir das Selbstbestimmungsrecht der Frau als ein hohes und schützenswertes Gut!

Zwischen beiden Seiten liegt als dritter Punkt das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitsstandard, der wiederum für Mutter und Kind gilt. Dieses Recht umfasst auch die Möglichkeit für alle Mütter mit Risikoschwangerschaften, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten auf NIPT ohne eigene Kosten zugreifen zu können.

Wir möchten unsere Vorbemerkung mit dem Hinweis abschließen, dass NIPT längst gängige Praxis in der Schwangerenvorsorge ist. Die ethische Diskussion, welche nun vom G-BA richtigerweise angestoßen wurde, kommt mindestens sieben Jahre zu spät. Eigentlich ist sie seit rund 40 Jahren überfällig, denn bereits seit den 70er Jahren gehört die Pränataldiagnostik zur Schwangerenvorsorge. Als Beispiel sei die invasive Fruchtwasseruntersuchung genannt, die aber aufgrund ihrer hohen Risiken nicht so häufig vorgenommen wurde. Welche Auswirkungen die Bereitstellung von Pränataldiagnostik auf die Wahrnehmung und Akzeptanz von Menschen mit Behinderung hat, ist bisher nicht hinlänglich erforscht worden.

Mother Hood Stellungnahme zu NIPT

eingereicht beim G-BA am 8. Mai 2019

NIPT erst bei guter Schwangerenvorsorge

Die Bundeselterninitiative Mother Hood e. V. ist ein bundesweiter Elternverein, der sich für die Rechte von Frauen und Kindern rund um die Geburt einsetzt und eine bessere Versorgung während Schwangerschaft, Geburt und 1. Lebensjahr des Kindes fordert.

Mother Hood e. V. lehnt den Bluttest als Kassenleistung aufgrund der derzeit bestehenden Bedingungen in der Schwangerenvorsorge ab.

NIPT und Selbstbestimmung

Befürworter von NIPT als Kassenleistung heben hervor, dass der Test eine Frage des Selbstbestimmungsrechts der Frau beziehungsweise der Eltern sei. Mit NIPT würden die Eltern über den Gesundheitszustand ihres Kindes informiert und könnten selbstbestimmt über die Schwangerschaft entscheiden.

Wir halten dieses Argument für sehr entscheidend und möchten daher in unserer Stellungnahme die Perspektive auf die Schwangerenvorsorge beziehungsweise NIPT und Selbstbestimmung richten.

Selbstbestimmung umfasst die Wahlfreiheit über Entscheidungen. Um ihr Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt wahrnehmen zu können, sind die werdenden Eltern auf umfassende und wertfreie Informationen angewiesen.

Doch wie wertfrei kann diese Aufklärung sein, wenn die medizinische Betreuung von Schwangeren auf Risikovermeidung ausgerichtet ist? Fördert nicht gerade der auf Risiko fokussierte Blick auf Schwangerschaft und Geburt ein gesellschaftliches Klima, in dem das ungeborene Kind mit Trisomie als Risiko wahrgenommen wird und nicht erwünscht ist? Besteht durch NIPT als Kassenleistung sogar die Gefahr, dass ein beeinträchtigtes Kind als medizinisch vermeidbar eingestuft wird und gesellschaftlich sowie gesundheitspolitisch nicht gewollt ist?

Die Fakten sprechen durchaus dafür: Nach der Diagnose Trisomie 21, 18 oder 13 werden rund 85 Prozent der Schwangerschaften abgebrochen. Eltern behinderter Kinder berichten von Fragen danach, ob das Kind denn “hätte sein müssen” und stehen unter enormen Rechtfertigungszwängen. Sie berichten auch davon, dass ihnen medizinisches Fachpersonal zum Abbruch der Schwangerschaft geraten hätte und sie sich unter Druck gesetzt fühlten.

Begünstigt wird die unzureichende gesellschaftliche Akzeptanz durch ebenfalls unzureichende soziale, medizinische und materielle Unterstützung von Familien mit besonderen Kindern. Das Wissen um diese fehlende gesellschaftliche Unterstützung beeinflusst ebenfalls bewusst oder unbewusst die Entscheidung der Frau für oder gegen NIPT bzw. nach einem positiven Test für oder gegen das ungeborene Kind.

Von einer selbstbestimmten Entscheidung der werdenden Eltern kann also nicht die Rede sein!

Zuerst strukturelle Änderungen umsetzen

Um das gesellschaftliche Klima zugunsten von mehr Familienfreundlichkeit im Allgemeinen und einer größeren Akzeptanz von Menschen mit Behinderung im Besonderen zu verbessern, sind strukturelle Maßnahmen dringend erforderlich. Erst dadurch wird der Rahmen geschaffen, durch den Eltern frei und ohne Druck entscheiden können.

Zu den wichtigsten Maßnahmen zählt aus unserer Sicht eine Neuausrichtung der Schwangerenvorsorge (s. u.). Zum anderen sind bessere Rahmenbedingungen für Familien mit besonderen Kindern zwingend notwendig, so wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben sind, die Deutschland anerkannt hat. Dazu zählt unter anderem, dass staatliche Hilfen leichter zugänglich sein müssen und ein Netz aus Unterstützungsangeboten ausgebaut werden muss.

Neuausrichtung der Schwangerenvorsorge

Die Schwangerenvorsorge muss nach salutogenetischen Prinzipien ausgerichtet sein. Demnach muss Schwangerschaft zunächst als physiologischer und nicht als pathologischer Vorgang begriffen werden. Eine Schwangerschaft sollte nicht pauschal als risikoreiches und lebensbedrohliches Ereignis kommuniziert werden, wie es heute häufig getan wird. Die Salutogenese richtet sich danach aus, wie Gesundheit entstehen und erhalten werden kann. Im Gegensatz dazu steht die Pathogenese, bei der die krankhafte Entwicklung im Fokus steht.

Des Weiteren müssen die routinemäßig vorgenommenen Untersuchungen in der Schwangerenvorsorge hinsichtlich ihrer Evidenz auf den Prüfstand gestellt werden. Das gleiche gilt auch für die Kriterien zur Bestimmung einer Risikoschwangerschaft, die teilweise wissenschaftlich nicht bestätigt sind. Letzteres ist insofern wichtig, als das mit der Bezeichnung als “Risikoschwangere” eine psychische Belastung für die Schwangere verbunden sein kann.

Jede Schwangere braucht eine auf ihre individuelle Situation passende Begleitung. Hierfür sollte grundsätzlich ein interdisziplinäres und kooperierendes Team aus Gynäkolog*innen, Hebammen und psychosozialen Berater*innen bereitstehen, sofern die Frau das wünscht.

Bei anstehender Pränataldiagnostik bzw. NIPT hat dieses begleitende Netzwerk besondere Bedeutung. Neben der medizinischen Aufklärung durch die / den Gynäkolog*in muss eine umfassende psychosoziale Beratung vor der Entscheidung für oder gegen Pränataldiagnostik / NIPT angeboten werden. Für Gynäkolog*innen muss es selbstverständlich sein, Frauen an psychosozial beratendes Fachpersonal zu überweisen. Auch die betreuende Hebamme kann eine wichtige Begleitung sein.

Die Bedürfnisse der schwangeren Frau und ihres (ungeborenen) Kindes müssen bei allen Untersuchungen im Zentrum der Betreuung stehen. Die Schwangere braucht vor allem Zuspruch und Bestärkung. Das betrifft im Übrigen insbesondere schwierige Schwangerschafts- und Geburtsverläufe.

Frauen und ihre Familien benötigen bei Fragen rund um Schwangerschaft und Geburt wertungsfreie Antworten, die wissenschaftlich begründet sind. Nur so können Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen. Notwendig ist eine unabhängige Informationsquelle für Eltern und Mediziner*innen, zum Beispiel bereitgestellt durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).

Auf der anderen Seite halten wir eine zuverlässige finanzielle Förderung von Organisationen und Strukturen, die ein positives Bild von Menschen mit Behinderung in die Öffentlichkeit tragen und ein gemeinsames Leben ermöglichen, für dringend erforderlich.

Bonn, 08. Mai 2019

Katharina Desery, Franziska Kliemt, Myriam Maldacker

Geschäftsführender Vorstand Mother Hood e. V.

Ansprechpartnerin

Katharina Desery
Vorstand und Pressesprecherin
Tel.: 0163/ 7274735
E-Mail: presse(at)mother-hood.de