Stellungnahme

Die Mutter als Container

Steht das „Gemeinschaftsinteresse“ an gesunden Kindern über den Persönlichkeitsrechten von Schwangeren und Gebärenden? Rechtsanwalt Dr. Roland Uphoff beantwortet die Frage in “Der Gynäkologe” mit Ja. Wir geben eine andere Antwort!

Stellungnahme zum Artikel “Außerklinische Geburtshilfe – derzeitiger Rechtszustand und Reformvorschläge“

In der Septemberausgabe der Zeitschrift “Der Gynäkologe” stellt der Rechtsanwalt Dr. Roland Uphoff in seinem Artikel “Außerklinische Geburtshilfe – derzeitiger Rechtszustand und Reformvorschläge” das Selbstbestimmungsrecht von (werdenden) Müttern in Frage. Er begründet dies mit dem Interesse der Gesellschaft an gesunden Kindern.

Aus medizinischer Sicht ist eindeutig in der Gesundheit und dem Wohlergehen der künftigen Generationen in diesem Sinne ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zu sehen, sodass der Wille der Eltern (…) hinter dem überragenden Gemeinschaftsinteresse an der Gesundheit der kommenden Generationen zurücktreten muss.

Rechtsanwalt Dr. Roland Uphoff / Septemberausgabe „Der Gynäkologe“

Als Bundeselterninitiative, die sich für die Rechte von Frauen und Kindern während Schwangerschaft, Geburt und dem 1. Lebensjahr des Kindes einsetzt, treten wir der Auffassung von Uphoff entschieden entgegen! Die Entscheidung, wo Frauen ihre Kinder gebären möchten, liegt ausschließlich bei den Frauen selbst. Das Grundrecht der Frauen, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, basiert auf dem Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Es handelt sich dabei um ein Menschenrecht, welches – anders als Uphoff angibt – nicht verhandelbar sein kann.

Außerklinische Geburten sind kein “vermeidbares Risiko”

Grundlegend für Uphoffs Argumentation ist ein einfaches Schema: Er behauptet, das ungeborene Leben würde durch die außerklinische Geburtshilfe in Gefahr gebracht und einem “vermeidbaren Risiko” ausgesetzt. Ergebnisse aus Studien und Qualitätsberichten gibt er ungenügend wieder. Er stützt sich stattdessen auf die Position der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG), deren beratender Jurist Uphoff nach eigenen Angaben ist, und die die außerklinische Geburtshilfe ebenfalls ablehnt.

Die DGGG wiederum bezieht sich in einer aktuellen Stellungnahme lediglich auf Berechnungen zum Outcome bei den sehr seltenen Notfallverlegungen aller außerklinisch begonnenen Geburten und stellt die außerklinische Geburtshilfe damit schlechter dar, als sie ist (Position der DGGG zur außerklinischen Geburtshilfe, FRAUENARZT, 59 (2018), Nr. 7).

Notfallverlegungen fanden laut Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) im Jahr 2016 bei rund 1,1 Prozent aller außerklinisch begonnenen Geburten statt. In Zahlen bedeutet dies, dass von den außerklinisch begonnenen 12.170 Geburten 128 per Notfall verlegt werden mussten. Festzuhalten ist also, dass die außerklinische Geburtshilfe unter den in Deutschland festgeschriebenen Voraussetzungen aus wissenschaftlicher Sicht als sicher gelten muss, was auch der Spitzenverband der Krankenkassen in einer vergleichenden Studie bestätigen konnte (PILOTPROJEKT zum Vergleich klinischer Geburten im Bundesland Hessen mit außerklinischen Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen bundesweit. GKV-Spitzenverband und Verbände der Hebammen).

Frauen, die sich für eine außerklinische Geburt unter Hebammenbegleitung entscheiden, setzen ihr Kind somit keinen vermeidbaren Risiko aus. Sie handeln stattdessen verantwortlich und im Interesse ihres Kindes. Uphoffs Behauptung, die Frauen würden von ihrer Hebamme unzureichend aufgeklärt werden, entbehrt ebenfalls einer wissenschaftlichen Grundlage.

Nicht nur frauen-, sondern auch kinderfeindlich

Uphoff degradiert die Mutter zur Hülle, zu einem Container, über den eine Gesellschaft frei verfügen könne. Er ignoriert, dass es die Eltern selbst sind, die das allergrößte Interesse an ihren Kindern und deren Gesundheit haben. Seinem frauen- und damit kinderfeindlichen Bild liegt die Einstellung zugrunde, dass Mütter nicht in der Lage wären, für sich selbst und ihr (ungeborenes) Kind die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Dabei geht unser Grundgesetz, Artikel 6, Absatz 2, von einem natürlichen Recht der Eltern aus. “Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.”

Auch die UN-Kinderrechtekonvention schreibt den Familien unantastbare Rechte in Bezug auf ihre Kinder zu: “Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens – […] überzeugt, dass der Familie als Grundeinheit der Gesellschaft und natürlicher Umgebung für das Wachsen und Gedeihen aller ihrer Mitglieder, insbesondere der Kinder, der erforderliche Schutz und Beistand gewährt werden sollte, damit sie ihre Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft voll erfüllen kann.”

Indem Uphoff Frauen die Entscheidungsfähigkeit aberkennt, diskriminiert er sie in höchstem Maße! Damit argumentiert er auch gegen das “Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)” der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1979. Hierin verpflichten sich die Vertragsstaaten, zu denen auch Deutschland gehört, “eingedenk des bisher noch nicht voll anerkannten bedeutenden Beitrags der Frau zum Wohlergehen der Familie und zur Entwicklung der Gesellschaft, der sozialen Bedeutung der Mutterschaft und der Rolle beider Elternteile in der Familie und bei der Kindererziehung sowie in dem Bewusstsein, dass die Rolle der Frau bei der Fortpflanzung kein Grund zur Diskriminierung sein darf und dass die Kindererziehung eine Aufgabe ist, in die sich Mann und Frau sowie die Gesellschaft insgesamt teilen müssen.”

Neutrale Aufklärung richtig und notwendig

Außer Frage steht, dass eine schwangere Frau über die Vor- und Nachteile aller Geburtsorte unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse aufgeklärt werden sollte.

Dabei kommt dem Arzt und der Ärztin eine besondere Rolle zu. Die Frau muss „über typische Risiken, die mit dem ⟮medizinischen⟯ Eingriff verbunden sind, immer und soweit wie möglich objektiv aufgeklärt werden. Der Arzt darf weder beschönigen noch dramatisieren“ (Die Aufklärungs- und Informationspflichten des Arztes. Landesärztekammer Baden-Württemberg 2016).

Das gilt ebenso für Hebammen, welche die Frauen z. B. im Rahmen der Schwangerenvorsorge bei der Wahl des Geburtsortes beraten sollten. Dasselbe gilt aber auch für Rechtsanwälte, die sich zur Geburtshilfe äußern.

Stattdessen fordert Uphoff, dass Hebammen bei der Aufklärung die Risiken der außerklinischen Geburtshilfe nicht verharmlosen dürften und Begriffe wie “selten” nicht verwenden sollten. Im Umkehrschluss ist aber für Uphoff zur Bewertung von Hausgeburten die unpräzise und dramatisierende Wortwahl “viele”, “besonders gefährlich” oder “enorme Risiken” zulässig, ohne aussagekräftige Belege anzugeben.

Die Kommunikation zwischen allen Beteiligten muss offen, konstruktiv, professionell und wertschätzend sein und sich stets an den Bedürfnissen von Müttern und Kindern orientieren. Eine Geburt ist zuallererst ein naturgemäßer, physiologischer Vorgang. Geburtsbegleitung als “Entbindungsbehandlung” zu bezeichnen, wie Uphoff anführt, zeugt von einem fehlenden Verständnis, was Geburt ist und was sie für Mutter und Kind psychisch und physisch bedeutet.

Keine Profession muss zwingend für außerklinische Geburtshilfe und insbesondere für Hausgeburten eintreten. Was Frauen aber brauchen, ist die Anerkennung ihres Selbstbestimmungsrechts und dass sie mit Blick auf ihre Kinder die richtigen Entscheidungen treffen. Gerade die Mutter hat das größte Interesse an einem gesunden Kind: Auch im Jahr 2018 ist immer noch die Mutter die primäre Versorgerin ihrer Kinder!

Missstände in der klinischen Geburtshilfe

Auf die gravierenden Missstände in der klinischen Geburtshilfe verweist Uphoff offenbar bewusst nicht. Er negiert sie sogar (“vermeintliche Nachteile”). Statt seine Position zu nutzen und seine Verantwortung wahrzunehmen, auf die Missstände in der klinischen Geburtshilfe hinzuweisen, lenkt Uphoff den Fokus weg von den tatsächlichen Problemen, mit denen sich Frauen tagtäglich in den Kliniken konfrontiert sehen.

Die Liste dieser Probleme ist lang. Sie reicht von dem Risiko aufgrund langer Anfahrtswege durch geschlossene Geburtsstationen, über Abweisungen an der Kreißsaaltür, Stress und unzureichende Betreuung wegen Personalmangels bis hin zu traumatischen Erfahrungen. Bei 93 Prozent der Geburten von Schwangeren mit niedrigem Risiko finden in der Klinik nicht evidenzbasierte und damit fragwürdige Interventionen statt (Clarissa Schwarz, Entwicklung der geburtshilflichen Versorgung – am Beispiel geburtshilflicher Interventionsraten 1984-1999 in Niedersachsen, Dissertationsschrift, S. 8, 2008). Die naturgemäßen Geburtsverläufe werden mit teilweise schwerwiegenden Folgen für Mutter und Kind gestört.

Die Eins-zu-Eins-Betreuung während der Geburt ist in vielen Kliniken ebenfalls schon lange nicht mehr gegeben. Dabei ist sie nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der sicherste Weg ein Kind zu gebären (Cochrane-Review 2016: Hebammengeleitete Kontinuitätsmodelle im Vergleich zu anderen Versorgungsmodellen für Frauen während der Schwangerschaft, der Geburt und der ersten Zeit der Elternschaft, 28.04.2016).

Auch die bundesweite Kaiserschnittrate von rund 30 Prozent ist immer noch doppelt so hoch, wie es laut WHO medizinisch notwendig wäre. Demgegenüber konnte die Mortalitäts- und Morbiditätsraten für Kind und Mutter nicht gesenkt werden (WHO-Mitteilung: Dramatische Zunahme von Kaiserschnitten, 1. Juni 2015).

Die DGGG hat bereits zu Beginn des Jahres in einer Stellungnahme die Situation in der klinischen Geburtshilfe als “ernst zu nehmendes Problem” bewertet. Demnach haben im Jahr 2017 “35 % der Kliniken Schwangere unter der Geburt mindestens einmal abgewiesen”, unter anderem wegen fehlenden Personals und “Überlastung der neonatologischen Stationen (64,4 %)” in denen keine kinderärztliche Betreuung in der Klinik verfügbar war (Neujahrsgespräch: Sicherstellung der klinischen geburtshilflichen Versorgung in Deutschland, 23. Januar 2018).

Reform der Geburtshilfe nötig

Anstatt sich für die Abschaffung der außerklinischen Geburtshilfe und damit für die Außerkraftsetzung von Frauen- und Kinderrechten einzusetzen, sollte Uphoff seine Expertise in die Verbesserung der Situation in der Geburtshilfe stecken.

Alle Professionen sollten gemeinsam mit den Eltern für eine bessere Versorgung in allen möglichen Geburtssettings eintreten. Der Gesundheit von Kindern und Müttern wäre damit am allermeisten gedient. Der von Mother Hood e. V. entwickelte 10-Punkte-Plan mit Lösungsansätzen zur Verbesserung der geburtshilflichen Versorgung bildet für weiteren Austausch eine geeignete Grundlage.

Bonn, 1. November 2018

Ansprechpartnerin

Katharina Desery
Vorstand und Pressesprecherin
Tel.: 0163/ 7274735
E-Mail: presse(at)mother-hood.de