Was bietet der aktuelle Koalitionsvertrag mit Blick auf die Geburtshilfe?
Wir haben den aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU/ CSU und SPD unter die Lupe genommen und die Punkte analysiert, die aus Elternsicht für die Geburtshilfe interessant sind.
Fazit: Die Absichtserklärungen bieten eine gute Grundlage, um Verbesserungen in der aktuellen geburtshilflichen Versorgung angehen zu können. Bei sehr offenen Formulierungen geben wir Lösungsansätze für die konkrete Umsetzung.
Was haben die CDU/ CSU und die SPD eigentlich in ihren Koalitionsverhandlungen zur Geburtshilfe festgelegt? (c) Pixabay
Flächendeckend jetzt auch wohnortnah!
„Zu einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung gehören für uns neben einer gut erreichbaren ärztlichen Versorgung auch eine wohnortnahe Geburtshilfe, Hebammen und Apotheken vor Ort.“
Das begrüßen wir: Nun ist auch “wohnortnah” zu einem Faktor für eine flächendeckende geburtshilfliche Versorgung geworden.
Qualitative Geburtshilfe auch mit Belegsystem
„Eine qualitativ hochwertige Geburtshilfe auch durch Belegärztinnen und -ärzte ist uns ein Anliegen.“
Für eine freie Wahl der Geburtsbegleitung ist das Belegsystem eine wichtige Voraussetzung. Wir fordern, dass Beleghebammen gleichermaßen als wichtiger Bestandteil einer qualitativ hochwertigen Geburtshilfe anerkannt werden.
Eine zentrale Frage ist: Was versteht die Bundesregierung unter einer “qualitativ hochwertigen Geburtshilfe”? Ausgehend von aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen, definiert Mother Hood folgende Merkmale:
- Kontinuierliche 1:1-Betreuung durch eine Bezugshebamme
- Wohnortnahe Versorgung (20-30 PKW Minuten)
- Weniger (Routine-)Interventionen
- Eine Kaiserschnittrate von max. 15-17 Prozent (gemäß WHO-Richtlinie)
- Hohe Mütterzufriedenheit durch Einbeziehung und Mitbestimmung
- Strukturen, Arbeitsabläufe und Prozesse, die das mütterliche und kindliche sowie das körperliche und seelische Outcome verbessern.
Für eine bedarfsorientierte Vergütung
“Künftig sollen Pflegepersonalkosten besser und unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden.“
Das muss auch für die Geburtshilfe gelten. Die Personalkostenvergütung muss den individuellen Betreuungsaufwand berücksichtigen und sich somit an den Bedürfnissen der Gebärenden und ihrem Kind orientieren.
Geburten sind individuell und brauchen Zeit. Geburtshilfe ist nicht planbar. Es muss genügend Personal vorgehalten werden, um bei Bedarf alle Gebärende und ihre Kinder gut betreuen zu können.
Im derzeitigen Vergütungssystem wird der Betreuungsaufwand nicht beachtet. Die Folge: Aufgrund von Betreuungsmangel und wirtschaftlichem Druck nimmt die Zahl an unnötigen Interventionen zu. Das zieht physische und psychischen Schäden bei Müttern und Kindern nach sich. Zudem können mehr als 60 Prozent der Kliniken ihre Geburtsstationen nicht kostendeckend führen. Immer mehr Abteilungen mussten schließen, diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen.
Sektorenübergreifende Versorgung
“[…] damit sich die Behandlungsverläufe ausschließlich am medizinisch-pflegerischen Bedarf der Patientinnen und Patienten ausrichten.”
Auch in der Geburtshilfe müssen alle beteiligten Berufsgruppen (niedergelassene und angestellte Gynäkologen und Gynäkologinnen sowie Hebammen) zusammenarbeiten, wie es auch im “Nationalen Gesundheitsziel – Gesundheit rund um die Geburt” definiert ist. Dies gilt auch für ein besseres Zusammenspiel von außerklinischer und klinischer Geburtshilfe.
Prävention und Gesundheitskompetenz
“Wir wollen die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und die Prävention in allen Lebensbereichen deutlich stärken.”
In diesem Zusammenhang fordern wir eine neutrale, angstfreie und auf Evidenz basierende Aufklärung rund um Schwangerschaft und Geburt. Dazu gehören verständliche und zugängliche Informationen zur geburtshilflichen Versorgung (u. a. Ort und Art der Geburt, mögliche medizinische Eingriffe, etc. ) und vorbeugende Aufklärung zukünftiger Eltern z. B. an Schulen und zu gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen.
Patientenrechte stärken
“Wir werden Patientenrechte stärken. Dazu werden wir Vorschläge für einen Patientenentschädigungsfonds für Schäden in Härtefällen, bei denen die bestehenden Haftungsregelungen nicht greifen, prüfen.”
Patientenrechte gelten auch während Schwangerschaft und Geburt! Dazu gehört eine Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Frau sowie eine angstfreie Aufklärung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit für Mutter und Kind.
Verbesserte Behandlungsmöglichkeiten für geschädigte Kinder und technischer Fortschritt haben zu höheren Kosten in der Haftpflichtversicherung aller Geburtshelferinnen und Geburtshelfer geführt. Eine Gesellschaft kann diese Kosten nicht einfach auf eine einzelne Berufsgruppe abwälzen.
Kinder gebären gehört zum Fortbestehen jeder Gesellschaft. Die damit verbunden Risiken sollten nicht allein von Geburtshelferinnen und Geburtshelfern getragen, sondern über einen staatlichen Fonds aufgefangen werden.
Kinder- und Frauenrechte sowie Gewaltprävention
“Kinderrechte sollen im Grundgesetz” verankert werden. Um die “Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention umzusetzen”, sollen auch beim“Gewaltschutz an Frauen” weitere Maßnahmen geprüft werden.
Die Stärkung der Frauen- und Kinderrechte umfasst genauso die Zeit von Schwangerschaft und Geburt, in der Frauen und Kindern das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Artikel 1 des Grundgesetzes gewährt werden muss. Wir fordern daher ein bundesweites Vorgehen gegen strukturelle und individuelle Gewalt während der Geburt.
Bonn, 01. Februar 2018
Ansprechpartnerin
Katharina Desery
Vorstand und Pressesprecherin
Tel.: 0163/ 7274735
E-Mail: presse(at)mother-hood.de