Bonn, 6. April 2020. Die Auswirkungen der Corona-Krise spitzen sich für Schwangere, Neugeborene und ihre Familien weiter zu. Einige Bundesländer wie Hessen und Rheinland-Pfalz haben seit kurzem strikte Besuchsverbote für die Kliniken verordnet. Zwar ist die Geburtsbegleitung offiziell davon ausgeschlossen, aber für Schwangere auf der präpartalen Station hat dieses Verbot dramatische Auswirkungen.
Besuchsverbote verschärfen die psychische Belastung von Mutter und Kind und gefährden die Kindergesundheit.
Mother Hood fordert daher Ausnahmeregelungen für Schwangere, die wegen Komplikationen stationär aufgenommen werden mussten.
1. Psychische Ausnahmesituation auf präpartaler Station
Eine Schwangerschaftserkrankung, die mit einem stationären Aufenthalt einhergeht, ist eine enorme psychische und physische Belastung für Mutter und Kind.
Die Sorge um das Ungeborene und/oder die Angst um das Leben der Mutter versetzen die Familie in eine extreme Ausnahmesituation, die durch eine lange Liegedauer auf der präpartalen Station zusätzlich verschärft wird.
“Mütterlicher Stress wirkt sich auch auf den Fötus aus. Zwanzig prospektive klinische Studien, von denen die längste Jugendliche bis zum Alter von 15 Jahren untersucht hat, zeigen negative Effekte von Stress während der Schwangerschaft auf die motorische und kognitive Entwicklung sowie eine Assoziation mit Verhaltensauffälligkeiten und ADHS (Van den Berg, Mulder, Mennes & Glover, 2005, in: Nationales Gesundheitsziel, Gesundheit rund um die Geburt, S. 19, 2017, www.gesundheitsziele.de).”
Wissenschaftler gehen davon aus, dass „sich in der prä- und perinatalen Phase erlebte Traumata schädlicher auswirken (können) als solche in der späteren Kindheit“ (S. Nixdorff, Salutogenese und Pränatale Psychologie. Gesundheitsförderung und Prävention in der vorgeburtlichen Lebensspanne, Mattes Verlag, Heidelberg, 2011, S. 12).
Fazit: Die Familie braucht in dieser Ausnahmesituation einer engmaschigen psychologischen, psychosozialen und empathischen Begleitung. Dazu gehört auch unbedingt der Kontakt/Besuch des Vaters bzw. der Partner*in oder einer engen Vertrauensperson der Mutter. Unnötiger negativer Stress muss vermieden werden.
2. Vertraute Bezugspersonen sind essentiell für psychisch (vor-)belastete Familien
Angsterkrankungen (15,4%) und affektive Störungen (9,8% – darunter mit 8,2% alleine unipolare Depressionen) gehören in Deutschland zu den häufigsten Erkrankungen (DGPPN, Zahlen und Fakten der Psychiatrie und Psychotherapie, Juli 2019).
Allein unter Schwangeren zeigen 18,4 % depressive Symptomatiken und “19,2 % aller jungen Müttern in den ersten drei Monaten postpartal” (B. Hübner-Liebermann et al., Peripartale Depressionen erkennen und behandeln, Deutsches Ärzteblatt, 2012).
Doch werden “Psychische Belastungen in der Schwangerschaft […] in ihrer Häufigkeit und Tragweite oft unterschätzt. Dabei stellen sie einen der häufigsten Risikofaktoren für ein ungünstiges Kurz- und Langzeit-Outcome bei Mutter und Kind dar.” (S. Wallwiener et al., Psychische Belastungen in der Schwangerschaft, Frauenarzt 2018, Nr. 10, S. 59)
Fazit: Belastete Frauen benötigen eine äußere Stabilität, kontinuierliche Begleitung und eine vertraute Bezugsperson während Schwangerschaft, Geburt und im Wochenbett – auch bei notwendiger Behandlung auf der präpartalen Station.
3. Gesundheitliche Risiken für Kind und Familie
Fehlt eine Begleitung der Schwangeren durch eine vertraute Bezugsperson, erhöht sich das Risiko für psychische prä- und peripartale Erkrankungen:
Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG) warnt deshalb vor den dramatischen Auswirkungen von Begleitverboten (wie es auch in einigen Kliniken praktiziert wird): „Psychisch vorbelastete Frauen mit Ängsten, Traumatisierungen und Depressionen sind zudem besonders gefährdet und ohne Präsenz und Ansprache einer vertrauten Person vermehrt Panikattacken ausgeliefert. (Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Presseinformation, Bei Geburten sind auch in der Corona-Krise die Partner gefragt, 30. März 2020.)
Eine “Retraumatisierung könnte im schlimmsten Fall dazu führen, dass eine posttraumatische Belastungsstörung und weitere psychische Symptome entstehen, welche die Entwicklung einer sicheren Bindung zwischen Mutter und Kind behindern könnten.“ (Karl-Heinz Brisch, Schwangerschaft und Geburt, Stuttgart 2013)
Eine Postpartale Depression oder sogar Psychose kann “langfristig auch die Entwicklung kognitiver oder emotionaler Fähigkeiten des Kindes beeinträchtigen” (Deutsche Depressionshilfe, Depression in verschiedenen Lebensumständen, In der Schwangerschaft und nach der Geburt).
Fazit: Präventiv sollten unnötige und besondere Belastungssituationen in dieser Lebensphase reduziert werden gemäß dem Nationalen Gesundheitsziel “Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln.”
4. Prävention und fehlende Postpartale Betreuung
Durch den eklatanten Hebammenmangel in der Wochenbettversorgung ist zu befürchten, dass (vor-)belastete Frauen mit ihren Kindern im Wochenbett unversorgt und Postpartale Depressionen unerkannt bleiben.
Fazit: Der persönliche Kontakt zu engen Vertrauten schon während eines präpartalen Aufenthaltes hat einen präventiven Charakter für die postpartale Zeit. Kliniken sind zudem aufgrund der Unterversorgung im Wochenbett umso mehr angehalten psychische und soziale Belastungsfaktoren frühzeitig zu erkennen und mögliche Unterstützung frühzeitig anzubieten bzw. Kontakt zu Hilfsangeboten herzustellen gemäß SGB V § 24 d.
Kontakt: Franziska Kliemt, f.kliemt(at)mother-hood.de, Tel. 0176 24108693